8–10 Jun 2023
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Sportpädagogik zwischen den Stühlen?!

Habituelle Differenzerfahrungen von (angehenden) Sportlehrkräften in fremden Bewegungsfeldern - Eine qualitative Interviewstudie am Beispiel des Bereichs „Gestalten, Tanzen, Darstellen"

7 Jun 2023, 16:00
30m
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5| Qualifikationsvorhaben Nachwuchstagung Vorstellung Promotionsvorhaben IV

Speaker

Miriam Jordis Kuhrs

Description

Der Sportbereich „Gestalten, Tanzen, Darstellen“ gilt als fester Bestandteil der Lehrpläne aller Bundesländer für das Fach Sport, was mitunter auf seine signifikanten Potenziale für den Sportunterricht zurückzuführen ist (Dreher Mansur et al., 2022). Trotz einer Fülle an möglichen positiven Lerneffekten und der Verbindlichkeit aufgrund der curricularen Verankerung wird der Bereich Tanz jedoch wenig unterrichtet (u.a. Hafner, 2020; Berger et al., 2021). Dies ist unter anderem auf Faktoren zurückzuführen, welche in enger Verbindung mit der unterrichtenden Lehrperson stehen.

Ein Mangel an praktischer Erfahrung und vermittlungsmethodischem Wissen, explizite Kompetenzdefizite, Prägung durch geschlechterstereotype Vorstellungen im Sport, keiner ausreichenden Hilfestellungen von au- ßen sowie aus all dem resulitierende Überforderungen tragen ebenso wie die große Bandbreite des Inhalts- bereichs dazu bei, dass Sportlehrkräfte die praktische Durchführung des Bewegungsfelds im Sportunterricht vermeiden (Klinge & Freytag, 2007; Behrens, 2012; Adolf, 2017; Hafner, 2020; Neuber, 2020).

Um sich der Problematik theoretisch zu nähern, bietet sich ein Zugang über die Habitus-Theorie nach Pierre Bourdieu (u.a. 1978) an. Zur Schärfung des theoretischen Fokus‘ wird ein konkreter Bezug zum Fach und dem damit verbundenen Sportler*innenhabitus genommen (u.a. Volkmann, 2008; Meister, 2018).

Der bisherige Forschungsstand lässt auf die folgenden vier zentralen Aspekte schließen:
• Der Sportlerinnenhabitus prägt das Individuum kontinuierlich (vor der Ausbildung, im Studium, im
Referendariat, innerhalb der ersten Berufsjahre). (u.a. Volkmann, Klinge, Ernst, Czyrnick-Leber)
• Der Sportler
innenhabitus kann sich hinderlich auf die Entwicklung zu einer professionellen Lehrkraft auswirken, wenn er auf das eigene Sporttreiben und damit die eigene Sportbiografie begrenzt bleibt.
(u.a. Schierz, Hericks, Klinge, Ernst, Czyrnick-Leber)
• Eine kritische Reflexion des eigenen Sportler*innenhabitus‘ innerhalb der Ausbildung verbleibt unzu-
reichend. (u.a. Schierz, Ernst, Volkmann, Klinge)
• Eine kritische Reflexion muss bewusst hervorgerufen werden, um in den berufichen Anforderungen
(auch außerhalb der eigenen habitualisierten Sportarten) professionell agieren zu können.

Von Interesse wäre demnach eine Beleuchtung der Auswirkungen des Habitus‘ und einer (ausbleibenden) Reflexion dessen in der Berufspraxis. Hierzu würden sich Lehrende innerhalb der Berufsphase des Referen- dariats als Zielgruppe anbieten, da das Unterrichten von unterschiedlichen Bewegungsfeldern/Sportbereichen – und somit auch Tanz – zu dieser Zeit der Ausbildungsphase eine Verpflichtung darstellt. Daraus ergibt sich die folgende Forschungsfrage für das Gesamtvorhaben: Welche Auswirkungen von Habitualisierungspro- zessen („transformierter“ vs „manifestierter“ Habitus) im Sportstudium zeigen sich im Berufsalltag (Referendariat) hinsichtlich des Unterrichtens habitusfremder Inhalte?

Da nur wenige Schülerinnen, Sportstudierende und Sportlehrende außerhalb von Lehrkontexten im Bereich Tanz aktiv sind, bietet sich ein Fokus auf diesen Sportbereich für eine erste Erhebung zum Themenfeld an, um vielfältige Formen des Umgangs im pädagogischen Handeln nachzuzeichnen (Czyrnick-Leber, 2019). Denkbar wäre ein qualitatives Forschungsdesign, um in diesem Rahmen eine Interviewstudie mit Lehramts- anwärterinnen am Ende ihres Referendariats durchzuführen. Dabei ließe sich ihre Einstellung zum Unterrich- ten von der eigenen Sportbiografie fernen Unterrichtsinhalten fokussieren.

Ziele der Arbeit:

  1. Mögliche Erklärungen für die Kennzeichen von Krisen bei (angehenden) Sportlehrkräften bei erstma- ligem Unterrichten eines habitusfernen Bewegungsfelds finden

  2. Ableiten der größten Hürden bzw. Problemfelder für die Lehrenden, die überwunden werden müssen

  3. Strategien des Unterrichtens von (angehenden) Sportlehrkräften in dem für sie biografiefernen Bewe-
    gungsfeld Gestalten, Tanzen, Darstellen identifizieren

  4. Ableiten von Gelingensbedingungen

Literatur
Adolf, O. (2017). Tanzen mit Jungs!? - Es lohnt sich!: Hip-Hop in der Schule. Lehrhilfen für den Sportunter- richt, 5, S. 1-3.
Behrens, C. (2012). Innere Welten rekonstruieren. Empirische Studien zum Aspekt der Selbstwerterhaltung beim Tanzen und Gestalten. In C. Behrens, H. Burkard, C. Fleischle-Braun & K. Obermaier (Hrsg.), Tanzerfahrung und Welterkenntnis. Jahrbuch Tanzforschung, Bd. 22, (S. 193-206). Leipzig: Henschel- Verlag.
Bourdieu, P. (1978). Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Ge- sellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Berger, R.; Rubeli, B.; Valkanover, S. (2021). Mit kreativem Darstellen und Tanzen sich selbst kennenlernen. Selbstkonzeptförderung konkret. Sportunterricht, 70 (6), 265-268.
Czyrnick-Leber, U. (2019). Tanz in der Sportlehrkräfteausbildung. Habitualisierungen – Ambivalenzen – Wi- derstände (Schriften zur Sportwissenschaft, 153). Hamburg: Verlag Dr. Kovac.
Czyrnick-Leber, U., Ukley, N., & Schirrmacher, N. (2022). Irritationen des Körperwissens – Förderung von Transformationsprozessen des fachlichen Habitus durch Krisenerfahrungen im Tanz. Narrative zwi- schen Wissen und Können : aktuelle Befunde aus Sportdidaktik und Sportpädagogik, S. 77-90.
Dreher Mansur, S., Krauß, N., & Braunagel, J. (2022). Sportpraxis reflektiert: Mit Jungs Tanzen? So geht ́s! Sportpraxis, 63 (4), S. 26-30.
Ernst, C. (2017). Professionalisierung, Bildung und Fachkultur im Lehrerberuf Rekon- struktionen zur biogra- phischen Entwicklung von Sportlehrkräften. Wiesbaden: Springer.
Hafner, S. (2020). Tanzen im Sportunterricht: Eine Wahlverwandtschaft mit begrenztem Mehrwert - Konse- quenzen für die Lehrer*innenbildung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-on- line.de/artikel/tanzen-sportunterricht-wahlverwandtschaft-begrenztem-mehrwert-konsequenzen-lehrer (letzter Zugriff am 31.01.2023).
Hericks, U.; Keller-Schneider, M. (2011). Beanspruchung, Professionalisierung und Entwicklungsaufgaben im Berufseinstieg von Lehrerinnen und Lehrern. In: Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung 11, S. 20-31.
Klinge, A. (2000). Zur Notwendigkeit biographischer Selbstreflexion in der Sportlehrer(aus)bildung. Sportwis- senschaft, 4, S. 443-453.
Klinge, A. (2007). Entscheidungen am Körper. Zur Grundlegung von Kompetenzen in der Sportlehrerausbil- dung. In W.-D. Miethling & P. Gieß-Stüber (Hrsg.), Beruf: Sportlehrer/-in – Über professionelles Selbst von Sport- und Bewegungslehrern (S. 25-38). Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.
Klinge, A. (2008). Körperwissen – Eine vernachlässigte Dimension der Sportpädagogik. Kumulative Habilita- tionsschrift zur Erlangung der Vendia Legendi im Fachgebiet Sportpädagogik. Habilitationsschrift, Ruhr-Universität Bochum.
Klinge, A. & Freytag, V. (2007). Gute Aufgaben zum Tanzen (er-)finden. Sportpädagogik, 31 (4), 4-11. Meister, N. (2018). Transformationsprozesse durch universitäre Krisenerfahrungen? Die Entwicklung eines
fachspezifischen Habitus von Sport-Lehramtsstudierenden - In: Zeitschrift für interpretative Schul- und
Unterrichtsforschung 7, S. 51-64.
Meister, N. (2019). „Sportlerhabitus“ in der Krise? Zum Professionalisierungspotential von Praktikumserfah-
rungen. In M. Hartmann, R. Laging & C. Scheinert (Hrsg.), Professionalisierung in der Sportlehrerbil- dung – Konzepte und Forschungen im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Bewegungspä- dagogik,13 (S. 138 -151). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Neuber, N. (2020). Fachdidaktische Konzepte Sport: Zielgruppen und Voraussetzungen (1. Aufl.). Wiesba- den: Springer VS.
Schierz, M. (2014). Sportdidaktik wiederbelebt – professionalisierungstheoretische Reflexionen zu einem Rettungsversuch. Zeitschrift für Sportpädagogische Forschung, 2 (1), S. 3–20.
Schiertz, M., & Miethling, W-D. (2017). Sportlehrerprofessionalität: Ende einer Misere oder Misere ohne Ende? Zwischenbilanz der Erforschung von Professionalisierungsverläufen. German Journal of Exer- cise and Sport Research, 47 (1), S. 51-61.
Volkmann, V. (2008). Biographisches Wissen von Lehrerinnen und Lehrern. Der Einfluss lebensgeschichtli- cher Erfahrungen auf berufliches Handeln und Deuten im Fach Sport. Wiesbaden: VS Research.

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Miriam Jordis Kuhrs

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