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Description
Gleichwohl dem Sportunterricht durch seine inhaltliche Ausrichtung auf Bewegungsaktivitäten besondere Potenziale für Gesundheit und Wohlbefinden zugeschrieben werden, erleben einzelne Schüler:innen im Sportunterricht immer wieder Situationen, die sie (etwa aufgrund von Beschämung, Gewalt oder sozialer Ausgrenzung) nachhaltig belasten können (u. a. Wiesche & Klinge, 2017). Das damit verbundene Leiden der Schüler:innen erhält in der sportpädagogischen Community jedoch kaum Aufmerksamkeit. Der geplante, aus einem laufenden Drittmittelprojekt hervorgehende Vortrag nimmt dies zum Anlass, systematisch empirische Befunde zu belastenden Erlebnissen von Schüler:innen in Bezugnahme auf verschiedene sportunterrichtliche Situationen vorzustellen. Durch eine damit einhergehende Betrachtung der unterrichtlichen Bedingungsgefüge, die für das situative Erleben der Schüler:innen entscheidend sind, tragen wir in Anschluss an den internationalen Diskurs der ‚critical pedagogy‘ (u. a. Fitzpatrick, 2019) zu einer sozial-kritischen Reflexion der Grundverhältnisse sportunterrichtlicher Praxis bei.
Psychosozial belastende Erlebnisse von Schüler:innen im Sportunterricht verstehen wir aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive als subjektives Erleben von Situationen, welche sich als krisenhaft vom Alltagsgeschehen abheben. Vor diesem Hintergrund wurde eine qualitative Befragung aktueller und ehemaliger Schüler:innen mittels schriftlicher Kurznarrationen (N = 677) durchgeführt, die darin retrospektiv von belastenden Erlebnissen aus ihrem Sportunterricht berichten. Die interpretative Datenauswertung orientierte sich an Kodierverfahren der Grounded Theory (Glaser & Strauss, 2010).
Wir konnten eine große Bandbreite an sportunterrichtlichen Erlebnissen identifizieren, welche Schüler:innen als belastend empfanden. Darin zeigt sich, dass die Schüler:innen insbesondere durch körperliche Entblößung und Leistungsversagen eine situativ hergestellte Vulnerabilität empfinden, die mitunter folgenreiche soziale Konsequenzen haben kann. In der Analyse der damit verbundenen situativen Bedingungen richtet sich unser Fokus auf das soziale und didaktische Setting des Sportunterrichts. Daran schließt sich im Sinne einer kritischen Reflexion die Frage nach der Verantwortung der eigenen Fachdisziplin an. Es ist zu diskutieren, aus welchem Selbstverständnis heraus die Sportpädagogik sportunterrichtliche Verhältnisse nicht nur von der Außenlinie betrachten, sondern auch verstärkt politisch aktiv zu einer Veränderung pädagogischer Praxis beitragen kann.
Literatur
Fitzpatrick, K. (2019). What happened to critical pedagogy in physical education? An analysis of key critical work in the field. European Physical Education Review, 25(4), 1128–1145.
Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (2010). Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Hogrefe.
Wiesche, D., & Klinge, A. (Hrsg.). (2017). Scham und Beschämung im Schulsport. Facetten eines unbeachteten Phänomens. Meyer & Meyer.