9–11 Nov 2018
Universität Hamburg
Europe/Berlin timezone

Forum 6 - Denken - Sprache - Wirklichkeit: Philosophische Ansätze und Theoriebildung von Paulo Freire weiterdenken - Moderation:Dr. Joachim Dabisch (Oldenburg)/ Daniel Neumann (Hamburg)/ Heiner Zillmer (Hamburg)

10 Nov 2018, 14:30
3h
Raum 205 (Universität Hamburg, Von-Melle-Park 8)

Raum 205

Universität Hamburg, Von-Melle-Park 8

Von-Melle-Park 8

Description

Wie denke ich über meine Welt, mit welchen Sprachmodulen erfassen wir unsere Wirklichkeit und traue ich mir zu, mein Wort zu sagen, wie Freire den Prozess benennt, sich selbst produktiv einzubringen?
„Im Wort begegnen wir zwei Dimensionen: der ‚Reflexion‘ und der ‚Aktion‘ in so radikaler Interaktion, daß, wenn eines auch nur teilweise geopfert wird, das andere auch unmittelbar leidet. Es gibt kein wirkliches Wort, das nicht gleichzeitig Praxis wäre. Ein wirkliches Wort sagen heißt daher, die Welt verändern“ (Freire, Pädagogik der Unterdrückten, 1971, S. 93).
Freire begann als Didaktiker, als er in Brasilien im Rahmen einer großen Alphabetisierungskampagne mit neuen Methoden arbeitete. Seine strukturierten Lernprogramme basierten auf der Einbeziehung der gesellschaftlichen Lage der Lernenden
und der Lehrenden. Mit seiner Pädagogik der Unterdrückten hat Freire 1968 (vor 50 Jahren) eine tiefgreifende Untersuchung der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, innerhalb derer – mithilfe der Alphabetisierung – ein Prozess politischer Bewusstwerdung möglich wurde.
Die kolonisierten Gedankenwelten von den ideologischen Setzungen zu befreien, ist ein stetiger Prozess. Es ging und es geht noch immer um die Eroberung eigenständiger Sichtweisen und der selbständigen Gestaltung der Lebenswelten, in der Auseinandersetzung mit den politischen und ökonomischen Kräften. Zur Zeit Freires in Brasilien, bis 1964, waren es die Großgrundbesitzer und ausländischen Investoren, die den politischen Kampf gewannen, die Alphabetisierung stoppten und Freire ins Exil zwangen.
Heutige Gegner von politisch agierender Bildung sind das weltweite Finanzkapital und die globalen Konzerne, vor allem die der digitalen Technik. Gespeist von den Ideen und Mythen des Neoliberalismus der Chicago-Boys (Milton Friedman et al.) geht es um die totale Unterwerfung aller menschlichen Bedürfnisse und Gedanken unter die Interessen des Profits. Als neues Glaubenssystem durchdringt es mittlerweile alle Lebenswelten und hat weltweit alle anderen existierenden Glaubenssysteme überflügelt – und ergötzt sich dabei am Kampf der alten Konfessionen untereinander.
Wirksames Elixier ist der Modus der Konkurrenz zwischen den Menschen. Das unbedingte Motto lautet: Mach dein eigenes Ding, setz dich durch, gegen und auf Kosten der anderen. Dieses Grundmuster wird bereits im Notensystem der Schule eingeübt, verbreitet sich auf allen Ebenen des Zusammenlebens und versucht Bildung auf eine Selbstoptimierung zu größerer Wettbewerbsfähigkeit zu reduzieren. Das Korrektiv liegt in der Aufdeckung, Bewusstmachung und Verweigerung dieses Glaubenssystems und in der Rückbesinnung auf das, was den Menschen von Anfang und der Wiege an auszeichnet: die Kooperation. Das ist das Zusammenwirken konkreter Menschen, die mit einander kommunizieren, auch streiten, aber in gegenseitiger Anerkennung.
In diesem Forum geht es um die Fortsetzung einer Politischen Alphabetisierung, wie sie in der ersten Rezeption von Freire in der BRD (AG Paulo Freire, 1973) formuliert worden war, dass nämlich:
o „die gesellschaftlichen Antagonismen nicht mehr als interpersonelle Konflikte gesehen werden, sondern als Gegensätze, die durch die Struktur des Systems bedingt sind“
o „soziale Prozesse als historisch bedingt und politisch gestaltbar erkannt werden“ (AG Freire, betrifft:erziehung, 1973, S 38; wird im Netz bereit gestellt)
Formulieren wir unsere ‚generativen Themen‘ im Spannungsfeld von Denken, Sprache und Handlungsfeldern (Wirklichkeit).
 Die sog. Sozialen Medien als Vernetzung durch unkontrollierbare Instanzen kritisch hinterfragen.
 Selbstregulierte Formen der Vernetzung und der Kooperation untersuchen und fördern (Betriebsräte, Gewerkschaften, Genossenschaften, Bürgerinitiativen etc.).
 Überwachte und ideologisch besetzte Gebiete wieder in eigene Regie nehmen (in kleinen Schritten, Begriffe neu semantisieren, individuell und in der Gruppe).
 „Das eigene Wort“ erarbeiten, im kritischen Denken und Entwerfen von Handlungsschritten mit anderen. Als lebendige Inszenierung sozialer Konflikte, als provokante performance im öffentlichen Raum, als bunter Protest oder militanter Streik.
Joachim Dabisch, Dr. phil., Diplom-Pädagoge, lehrte an der Universität Oldenburg mit den Schwerpunkten Allgemeine Pädagogik und Schulpädagogik, Vergleichende Erziehungswissenschaft, Internationale Bildungsforschung, Geschichte der Reformpädagogik; Mitbegründer der Paulo Freire Kooperation (PFK), Verlagsgründer Paulo
Freire Verlag/Oldenburg, Herausgeber der Reihen Edition Neuer Diskurs, Aspekte der Freire-Pädagogik, Freire Jahrbuch und Schola Nova, wissenschaftlicher Autor und Publizist. eMail: dabisch@freire.de
Daniel Neumann, Student M. Ed. Lehramt für Sonderpädagogik (Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Unterrichtsfach Geschichte) an der Universität Hamburg, B.A. Bildungswissenschaften (Sonderpädagogik und Geschichte) an der Universität Flensburg, studienbegleitende Tätigkeiten am ZkE Flensburg in der Einzefallhilfe und Schulsozialarbeit, als Schulbegleitung der Stadt Hamburg und der Lebenshilfe, sowie als Hilfe für Familien mit behinderten Kindern (HFbK) bei Leben mit Behinderung Hamburg. eMail: danielneumann@outlook.de
Heiner Zillmer, Dr., Dipl.-Psych., Arbeitspsychologie, Teamtrainer, Psychotherapeut, Arbeiten mit und zu Freire und Boal, Mitherausgeber im Verlag edition zebra, P.F.K. (e.V.) Orga-Team Freire-Konferenz Hamburg 2018.
eMail: hh.zillmer@t-online.de

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